Die Chefin las beim "Herrenabend" dem Bürgermeister die Leviten
Der Vorstand des Wirtschaftsvereins nimmt seinen Ehrengast, Bürgermeister Peter Tschentscher, in die Mitte. Foto: Christian Bittcher

Die Chefin las beim "Herrenabend" dem Bürgermeister die Leviten

Heimfeld - Es ist schon ein Pfund, wenn an der Spitze des Wirtschaftsvereins jemand steht, der unabhängig und ohne falsche Rücksicht Probleme beim Namen nennen kann. Das bekam Hamburgs Erster Bürgermeister und Präsident des Bundesrates, Dr. Peter Tschentscher, beim ehemaligen Herrenabend, der jetzt unter Wirtschaftsabend firmiert, im Privathotel Lindtner zu spüren. Denn mit Franziska Wedemann hat der Verein, in dem fast 300 Unternehmen aus dem Süden Hamburgs zusammengeschlossen sind, eine streitbare Chefin.

Die nahm angesichts der Krise bei gleichzeitig hoch gesteckten Zielen der Politik kein Blatt vor den Mund. Dabei kam Tschentscher noch gut weg. Seine Mitstreiter im Senat nicht. "Sie lassen gerade zu, daß einer Ihrer Assistenzärzte, noch dazu ein fachfremder Seiteneinsteiger gerade eine Therapie einsetzt, die noch nicht mal das Stadium der klinischen Forschung 1 durchlaufen hat. Versteht man die Verkehrswege als Adern, darf Ihr Assistenzarzt sehenden Auges einen Multiinfarkt herbeiführen", so Wedemann ganz offensichtlich in Richtung des Hamburger Verkehrssenators Dr. Anjes Tjarks, angesichts dessen autofeindlichen Kurses.

Wedemann bemängelte auch die Abschaltung von Europas modernsten Kohlkraftwerk Moorburg, mahnte die zügige Fertigstellung der A 26 Ost und die Köhlbrandquerung, die Ertüchtigung der S 32 im Süden und eine westliche S-Bahn Elbquerung an und machte auf die mittlerweile immer weiter fortschreitende Spaltung der Gesellschaft, mal mit einem Augenzwinkern, oft aber mit real existierenden Problemen, wie "Verbrenner gegen Elektro, Auto gegen Fahrrad, Kuh- gegen Hafermilch, Kern- gegen Windkraft, Kohle gegen Sonne, A 26 gegen Frösche, Wirtschaft gegen Bullerbü, Startups gegen Bestandsunternehmen, alt gegen jung, gendern oder nicht, reich gegen arm, Ottensen gegen den Rest der Welt", aufmerksam.

Was viele der knapp 300 Gäste enttäuschte: Tschentscher reagierte nicht, wie es viele von einem gut informierten, im Thema und hinter seinem Kurs stehenden Bürgermeister erwartet hätten. Tschentscher blieb bei seinem Manuskript, redete von Harburgs Geschichte oder davon das Hamburg mittlerweile den ökologischten Stahl herstellt, für den deutlich weniger CO2 gebraucht wird, der aber so teuer ist, dass er am Weltmarkt keine Chance hat, was bei vielen Gästen im besten Fall für ein Schmunzeln, bei anderen Zuhörern für Kopfschütteln sorgte.

Auch die Phrase "Wenn nicht wir, wer dann" in Hinblick auf die Vorreiterrolle Hamburgs, die die erste klimaneutrale Metropole Europas werden soll, lockte bei kühlen Rechnern bei einem Anteil Hamburgs von rund 0,02 Prozent an der Weltbevölkerung eher ein müdes Lächeln auf die Lippen.

Pluspunkt: Tschentscher nahm die Kritik an seinem Kurs gelassen und zeigte sich als charmanter Gast, der nicht nach einer kleinen Schamfrist wieder Richtung Hamburger Rathaus entschwand. Der Erste Bürgermeister nahm sich Zeit für Gespräche.

Die hatten auch die Gäste, bei denen Christoph Birkel, Initiator des Tempowerks, Punkte machte. Er spendierte nach dem gesetzten Essen die Getränke an der Bar. zv
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